Pressemitteilung zum Tag des Patienten
Kliniksterben und klinische Unterversorgung in Bayern
Himmelkron, 26.01.2022
Bayern ist klinisch unterversorgt. Am Tag des Patienten präsentierte die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben im Rahmen einer Pressekonferenz die Dokumentation Kliniksterben und klinische Unterversorgung in Bayern - Ursachen und Folgen im Spiegel der Corona-Pandemie. Die Ergebnisse der Studie sind brisant:
Die Aktionsgruppe beklagt in Bayern:
• ein kontinuierliches Krankenhaussterben in Bayern
• einen signifikant hohen Anteil an Fachkliniken, die nicht zur allgemeinklinischen Versorgung
(einschließlich Behandlung von Covid-19-PatientInnen) beitragen
• einen signifikant hohen Anteil an Krankernhäusern, die über keine gestufte Notfallversorgung verfügen
• eine große Anzahl an Regionen in Bayern, in denen Einwohner innerhalb von 30 Minuten und
länger kein Allgemeinkrankenhaus oder keine Notfallversorgung mehr erreichen, das kann
lebensentscheidend sein.
„Allein im Zeitraum 1991 bis 2019 wurden 77 Krankenhäuser und 11.890 Krankenhausbetten abgebaut,“ erläutert Klaus Emmerich, Klinikvorstand i.R. „46% der bayerischen Krankenhäuser sind Fachkliniken. Sie nehmen nicht an der klinischen Allgemeinversorgung und überwiegend auch nicht an der intensivmedizinischen Behandlung von Corona-PatientInnen teil. 41% der bayerischen Krankenhäuser haben keine gestufte Notfallversorgung nach den Kriterien des Gemeinsamen Bundesausschusses. In 115 bayerischen Postleitzahlregionen erreichen die Einwohner kein Allgemeinkrankenhaus binnen 30 Fahrzeitminuten. Dies alles kann bei eskalierenden Krankheitsverläufen lebensentscheidend sein.“
Scharf kritisiert die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben, dass ausgerechnet in den Corona-Jahren 2020 und 2021 bayerische Krankenhäuser aus ökonomischen Gründen geschlossen wurden. Namentlich handelt es sich um Krankenhäuser in Parsberg, Vohenstrauß, Fürth und Marktheidenfeld. Zusätzlich schloss die Rehabilitationsklinik in Waldsassen ihr Pforten.
„Dies ist ein untragbarer Zustand“, kommentiert Klaus Emmerich. „Planbare Operationen werden verschoben. Bayerische Corona-Patienten müssen in andere Bundesländer verlegt werden. Die Universitätsklinik Augsburg und das Bundesverfassungsgericht befassen sich mit der Triage, um Entscheidungen zwischen Leben und Tod nach ethischen Gründen sachgerecht fällen zu können. Dies zeigt, wie kritisch es um die Versorgungskapazitäten im Flächenstaat Bayern steht. Angesichts solcher Szenarien ist jede Klinikschließung ein unfassbarer Vorgang.“
Ländliche Krankenhäuser sind in Bayern unverzichtbar. Sie stellen oft die zentrale Gesundheitsdrehscheibe in ländlichen Regionen dar, decken die fachärztliche (auch ambulante) Versorgung ab, schaffen Arbeitsplätze und bilden ärztliches sowie pflegerisches Personal aus.
Welche Folge eine Klinikschließung haben kann, schildert Angelika Pflaum, Bürgerinitiative zum Erhalt des Hersbrucker Krankenhauses. „5 der 7 Belegärzten am Krankenhaus Hersbruck haben ihre Praxis in Krankenhausnähe nach Lauf a.d. Pegnitz verlegt - die gynäkologische Praxis wurde vom Klinikum Nürnberg gekauft und in Krankenhausnähe nach Lauf an der Pegnitz verlegt. … Im Hersbrucker Krankenhaus gab es zwei gut ausgestattete Operationsräume, die von Ärzten einer orthopädisch-chirurgischen Praxis angemietet und genutzt wurden. Unsere Sorgen, dass auch diese Gemeinschaftspraxis unserer Stadt den Rücken kehren wird, hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Zwei Chirurgen praktizieren nun weiter in Hersbruck. Anders als im Hersbrucker Krankenhaus verfügt die Praxis aber nicht über OP-Sälen. Somit ist die hervorragende Arbeit dieser Ärzte nur noch eingeschränkt möglich!
Durch großes persönliches Engagement der ansässigen Ärzte auch aus dem ländlichen Gebieten war im Hersbrucker Krankenhaus eine der ersten Ärztlichen Bereitschaftspraxen entstanden. Die 24.000 Menschen in und um Hersbruck schätzten diese medizinische Notversorgung mit nur kurzen Wegen sehr. Diese Praxis ist ersatzlos gestrichen!“
Die Dokumentation Kliniksterben und klinische Unterversorgung in Bayern - Ursachen und Folgen im Spiegel der Corona-Pandemie ist ab sofort auf der Homepage der Aktionsgruppe verfügbar: https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/aktionen/tag-des-patienten-2022/
Die Pressemitteilung im Download
Die Präsentation im Download
Die Dokumentation im Download
Aktion zum Tag der PatientInnen – Krankenhausschließungen kosten Leben!
von laura 26. Januar 2022
Aktive vom Bündnis Klinikrettung aus Berlin und Havelberg haben zum Tag der PatientInnen mit einer Aktion auf dem Berliner Alexanderplatz den bundesweiten Klinikkahlschlag skandalisiert. Die Schließung des Krankenhauses Havelberg hat schon Menschenleben gekostet – diese Botschaft trugen die HavelbergerInnen nach Berlin.
Das Bündnis stellte die im Jahr 2021 erfolgten Klinikschließungen sowie die derzeit akut bedrohten Krankenhäuser symbolisch mit über achtzig Luftballons dar und ließen sie platzen. Außerdem läuteten die KlinikretterInnen den Endspurt für die Petition „Bundesweite Krankenhausschließungen jetzt stoppen!“ ein. Die Petition richtet sich an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der sie als einfacher Abgeordneter im Sommer 2021 selbst unterschrieben hatte. Die Unterschriften werden noch bis 21. Februar gesammelt und am 22. Februar übergeben.
Laura Valentukeviciute, Sprecherin von Gemeingut in BürgerInnenhand und vom Bündnis Klinikrettung:
„Der Abbau wohnortnaher Krankenhäuser bedroht das PatientInnenwohl. Im Jahr 2021 gab es neun Schließungen und 22 Teilschließungen. In den kommenden Jahren sind über 50 Krankenhäuser von Schließung bedroht. Um den Gesundheitsminister zum Handeln zu bewegen, sammeln wir Unterschriften und sagen: Herr Lauterbach, stehen Sie zu Ihrem Wort – bundesweite Krankenhausschließungen jetzt stoppen!“
VertreterInnen vom Verein Pro Krankenhaus Havelberg haben zum PatientInnentag den Weg nach Berlin auf sich genommen, um ihrer Empörung über die unzureichende klinische Versorgung in Havelberg Nachdruck zu verleihen. Denn was zunächst als lokales Problem anmuten mag, ist Teil einer bundesweiten Misere: der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fordert die Aufgabe von 700 Kliniken.
Anke Görtz, Röntgenassistentin im Krankenhaus Havelberg und stellvertretende Vorsitzende im Verein Pro Krankenhaus Havelberg:
„In Havelberg wurde 2020 das Krankenhaus geschlossen. Die daraus resultierende Unterversorgung ist lebensbedrohlich. So starb vor wenigen Wochen ein Mensch am Herzinfarkt, weil der Rettungswagen aus dem weiter entfernt gelegenen Krankenhaus zu lange brauchte. Das Versprechen der Schließungslobby, dass PatientInnen trotz Klinikschließungen bei Akuterkrankungen das Krankenhaus noch rechtzeitig erreichen, war nie realistisch. Hier vor Ort sehen wir in aller Klarheit: Krankenhausschließungen kosten Leben.“
Die Aktionsgruppe gegen Kliniksterben in Bayern hat am PatientInnentag eine Pressekonferenz abgehalten.
Klaus Emmerich, Klinikvorstand i. R. und Mitbegründer vom Bündnis Klinikrettung sowie von der Aktionsgruppe gegen Kliniksterben in Bayern:
„Bayern ist als Flächenstaat besonders von einer klinischen Unterversorgung betroffen. Jahrzehntelanges Kliniksterben und der hohe prozentuale Anteil an Fachkliniken im Umfang von 46 Prozent erschweren die wohnortnahe klinische Behandlung bei Allgemeinerkrankungen und Notfällen signifikant. Wir zählen mittlerweile 115 Postleitzahlregionen, in denen PatientInnen ein Krankenhaus mit Innerer Medizin und Chirurgie nicht einmal innerhalb von 30 Fahrzeitminuten erreichen können. Das kann in Notfällen lebensentscheidend sein.“
Auch die Attac-AG Privatisierung Nein! Frankfurt am Main hat sich dem Aktionstag angeschlossen und die Gelegenheit genutzt, um heute erneut auf die sich scheibchenweise vollziehende Privatisierung am Klinikum Frankfurt Höchst aufmerksam zu machen.
Herbert Storn von Gemeingut in BürgerInnenhand und Attac-AG Privatisierung Nein!:
„Klinikschließungen und Privatisierungen, auch in kleinen Schritten, dienen nicht dem PatientInnenwohl, sondern ermöglichen privaten Anbietern Gewinne. In Frankfurt am Main protestieren wir heute zum wiederholten Mal gegen die Ausgliederung der Klinikapotheke an eine private Großapotheke. Kliniken gehören als Gemeingüter der Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand und müssen auskömmlich finanziert werden. Die Apotheke gehört zurück zur Klinik!“
Hintergrundinformationen:
– Die Petition an Bundesgesundheitsminister Lauterbach, „Bundesweite Krankenhausschließungen jetzt stoppen!“, ist hier zu finden: www.gemeingut.org/krankenhausschliessungen-stoppen
– Am 21. Dezember 2021 stellte das Bündnis Klinikrettung in einer Pressekonferenz die Bilanz der Klinikschließungen für das Jahr 2021 vor. Die Pressemappe finden Sie hier:
– Am 26.01.2022 stellte die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern in einer digitalen Pressekonferenz die unzureichende klinische Versorgung und das Kliniksterben in Bayern detailliert dar: https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/aktionen/tag-des-patienten-2022/
Quelle: Tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kliniken-deutschland-101.html
Was steckt hinter diesem Thema?
Der GKV-Kliniksimulator zeigt klinische Unterversorgungen auf. Die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern fordert eine transparente flächendeckende Darstellung aller unterversorgten Regionen einschließlich Ermittlung der betroffenen Anzahl an EinwohnerInnen, die ein Grundversorgungskrankenhaus nicht innerhalb von 30 Fahrzeitminuten erreichen kann.
Neue Krankenhäuser sind zu errichten.
Die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern ist der Ansicht:
- Jedem Bürger in Bayern steht eine wohnortnahe klinische Versorgung zu.
- Wohnortnahe klinische Versorgung bedeutet:
- Das Krankenhaus ist in maximal 30 Fahrminuten erreichbar.
- Das Krankenhaus verfügt mindestens über die Angebote
Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie/Geburtshilfe,
Intensivmedizin und Notfallversorgung, Notfallstufe 1.
Mit geringeren Ansprüchen überprüft der bundesweit verfügbare GKV-Kliniksimulator, inwieweit die Bürger innerhalb von maximal 30 Minuten ein Krankenhaus mit Innerer Medizin und Chirurgie erreicht (rechts, rosa: 30-40 Minuten und rot > 40 Minuten).
Quelle: GKV-Kliniksimulator, https://gkv-kliniksimulator.de/
Gezählte betroffene Postleitzahlregionen: 115
Globale Übersicht
Quelle: https://krankenhausatlas.statistikportal.de/
(Drei Ausschnitte wurden manuell zusammengeführt.)
Beispiele der Unterversorgung, Fahrzeiten länger als 30 Minuten:
Kliniken 2021 in Not:
In den im Reiter "Kliniken in Not" aufgelisteten Regionen besteht bereits heute eine Unterversorgung.
Landkreis Haßberge
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiete: 91332, 97488, 97528, 97600, 97726
Landkreis Kelheim, Region Mainburg
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiete: 84056, 85104, 85419
Landkreis Ansbach, Region Dinkelsbühl-Feuchtwangen
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiete: 86700, 86709 (>40 Minuten), 87110, 86735, 86742, 91572, 91719, 91740, 91757, 91806
Landkreis Weilheim-Schongau
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiete: 82442, 82445, 82497, 83676 (>40 Minuten), 87400, 86735, 87616, 83770 (>40 Minuten)
Geschlossene Kliniken 2020:
In den im Reiter "Szenario Ostbayern" aufgelisteten Regionen mit geschlossenen Krankenhäusern besteht bereits heute eine Unterversorgung.
Landkreis Neumarkt nach geschlossenem Krankenhaus Parsberg
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiete: 92331, 92358, 92363 (>40 Minuten)
Landkreis Neustadt a.d. Waldnaab nach geschlossenem Krankenhaus Vohenstrauß
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiete: 92696, 92697, 92726 (>40 Minuten)
Geschlossene Kliniken 2019:
In den im Reiter "Szenario Ostbayern" aufgelisteten Regionen mit geschlossenen Krankenhäusern besteht bereits heute eine Unterversorgung.
Landkreis Tirschenreuth nach geschlossenem Krankenhaus Waldsassen
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiet: 95698
Landkreis Nürnberger Land nach geschlossenem Krankenhaus Hersbruck
Teilweise oder vollständig betroffene PLZ-Gebiete: 91190, 91247