Pressemitteilung, Berichte

Berlin, den 1. September 2021: Heute Abend fand das vom Bündnis Klinikrettung organisierte Streitgespräch „Zukunft der Krankenhäuser: Klinikrettung versus Klinikschließung“ statt. Es diskutierten Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin, und Klaus Emmerich, ehemaliger Klinikvorstand zweier kommunaler Krankenhäuser in Bayern. Der Journalist Stephan Hebel moderierte die leidenschaftliche Diskussion. Im Streitgespräch trugen beide Referenten ihre Argumente für und gegen Klinikschließungen vor und konfrontierten dabei wissenschaftliche Modellrechnungen mit der Realität in den Krankenhäusern. Eine Diskussion mit dem Publikum – darunter zahlreiche VertreterInnen aus Landeskrankenhausgesellschaften, Landtagsfraktionen, aus der Kommunalpolitik und aus den Medien – rundete das Streitgespräch ab.

 

Klaus Emmerich zur flächendeckenden stationären Versorgung:

 

„Wir brauchen eine Klinikreform, damit deutsche Krankenhäuser adäquat finanziert werden und Ärzte und Pflegekräfte nicht massenweise die Krankenhäuser verlassen. Maßstab jeder Klinikreform ist eine flächendeckende wohnortnahe klinische Versorgung. Sie muss jeder Bürgerin und jedem Bürger innerhalb von 30 Minuten mit Mindeststandards zur Verfügung stehen. Kommunale Krankenhäuser mit einem breiten Versorgungsangebot werden dieser Anforderung am besten gerecht.“

 

Neben dem Hauptfokus auf Klinikschließungen wurden auch Fragen der Privatisierung und Gewinnmaximierung im Krankenhausbereich diskutiert. Dazu Laura Valentukeviciute, Sprecherin Bündnis Klinikrettung:

 

„Das große Interesse an dem Streitgespräch zeigt, dass solche Diskussionen, wie wir sie heute geführt haben, bitter nötig sind! Klinikschließungen sind die Spitze des Eisbergs, darunter verbergen sich die falschen politischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte: Privatisierungen im Krankenhaussektor, die Einführung von Fallpauschalen und die Möglichkeit, Gewinne mit unserer Gesundheit zu machen. Die Lösung heißt: eine bessere Ausfinanzierung der Krankenhäuser und ein Gesundheitssystem in öffentlicher Hand. Mit diesen Forderungen werden wir uns an die neue Bundesregierung wenden.“

 

Das heutige Streitgespräch wurde aufgenommen und ist demnächst in der Mediathek von Gemeingut in BürgerInnenhand e.V. zu sehen: https://www.gemeingut.org/infothek/audiovideo/

 

Eingangsrede Klaus Emmerich

 

Für Rückfragen:

Klaus Emmerich

Laura Valentukeviciute

 

Pressebericht Berliner Zeitung

 

Warum Krankenhäuser dichtgemacht werden sollen – und was dagegen spricht

 

TU-Professor Reinhard Busse und Ex-Klinikmanager Klaus Emmerich debattieren über eine Klinikreform

 

Christian Schwager

 

Reinhard Busse wird es wohl nie tragen, obwohl das Logo vorne auf dem T-Shirt dem Professor der Technischen Universität Berlin gefällt: Ein Kreuz ist darauf abgebildet, zur Hälfte rot, zur Hälfte aus stilisierten Heftpflastern. Darunter allerdings steht der Schriftzug „Bündnis Klinikrettung“ und auf der Rückseite der Hinweis, dass die Schließung von Krankenhäusern die Gesundheit gefährden, schwarz umrandet wie die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen.

 

Das sieht Busse anders. In diversen Studien hat der Mediziner und Gesundheitsökonom dargelegt, dass weniger Standorte mehr Qualität bedeuten. Das wiederum sieht Klaus Emmerich anders. Vor einem Jahr noch war er Vorstand zweier kommunaler Krankenhäuser in Bayern und engagiert sich in dem Bündnis mit dem Kreuz im Logo. Am Mittwoch, als das T-Shirt den Besitzer wechselt, im Berliner Hotel Albrechtshof, haben Emmerich und Busse in einem Streitgespräch ihre Standpunkte ausgetauscht.

 

Am Ende ließ sich sogar Übereinstimmung erkennen. „Wir brauchen eine Klinikreform“, hat Emmerich gesagt. Und die Andeutung eines kleinsten gemeinsamen Nenner gab es auch. Akzeptieren könnte Emmerich 20, 30 Prozent mehr ambulanter, statt stationärer Versorgung in den Krankenhäusern der kleinsten Kategorie, der Grund- und Regelversorgung, wie sie vor allem auf dem Land zu finden sind. Noch. Denn wenn es nach Busse und seinen Gutachten geht, sollen diese durch ambulante Versorgungszentren ersetzt werden.

 

Derzeit, sagt Busse, gibt es in Deutschland 1450 Krankenhäuser mit einer Akutversorgung, die insgesamt auf 420.000 Betten kommen. Im Durchschnitt deckt jedes Haus ein Gebiet von 57.000 Einwohner ab. Gravierende Unterschiede gibt es zwischen Provinz und Metropole. Berlin allein verfügt über 51 Kliniken. Busse sagt, dass viele Krankenhäuser nicht für die Behandlungen qualifiziert seien, die sie anbieten. Gravierend wirke sich der Qualitätsmangel bei Krebspatienten aus. Busse sagt: „55 Prozent der Patienten werden in Krankenhäusern versorgt, die kein Krebszentrum haben. Bei Bauspeicheldrüsenkrebs sind es sogar 70 Prozent.“

 

„Der große Plan ist, dass Krankenhäuser nur die Patienten behandeln, für die sie ausgerüstet sind“, sagt Busse und fordert: „Weniger Krankenhäuser mit gebündeltem Personal und gebündelter Ausstattung.“

 

Emmerich dagegen lehnt eine solche Konzentration ab, weil sie die Kosten in die Höhe treiben würde und eine Unterversorgung drohe. Stationäre Versorgung aber „ist Daseinsfürsorge. Darauf hat jeder Bürger in jedem Winkel des Landes einen Anspruch“. Emmerich möchte daher auch kleinere Kliniken für die Anforderungen an moderne Medizin wappnen, statt sie dichtzumachen. „Wenn ein ländliches Krankenhaus schließt“, sagt er, „entfällt nicht nur die stationäre Versorgung, sondern auch die ambulante fachärztliche Versorgung.“ In strukturschwachen Gebieten fehlten nämlich Fachärzte. Busses Konzept führe dazu, „dass ganze Regionen bei der medizinischen Versorgung zu Regionen zweiter Klasse werden“.

 

Aus dieser Perspektive verfängt der Hinweis der Befürworter von Klinikschließungen nicht, vor der Corona-Pandemie seien bundesweit nur 75 Prozent der Betten belegt gewesen. In der Ausnahmesituation habe das System seine Kapazitätsgrenzen erreicht, teilweise sogar überschritten, sowohl bei den verfügbaren Betten als auch bei den Pflegekräften, sagt Emmerich, der damit zum ökonomischen Teil des Problems kommt – zu den Fallpauschalen, den DRGs. „Mit ihrer Einführung sind Krankenhäuser zu Unternehmen geworden, die rentabel sein müssen“, sagt er. „Das hat zu einer geringeren Personalausstattung und einer Arbeitsverdichtung geführt.“

 

Fallpauschalen decken Behandlungskosten ab. Dabei gibt es lukrative und weniger lukrative Eingriffe. Berechnungsgrundlage sind Kliniken mit 400 Betten. Je größer jedoch ein Krankenhaus ist, desto mehr erwirtschaftet es durch Behandlungen und kann besser die Vorhaltekosten finanzieren: die Ausgaben für Bereitschaftsdienste rund um die Uhr und eine Notaufnahme.

 

Die DRGs setzen Fehlanreize, da sind sich Emmerich und Busse einig. Busse möchte das Grundprinzip beibehalten, Emmerich zur Selbstkostenfinanzierung zurückkehren.

 

„Wir sollten“, sagt Emmerich am Ende, „gemeinsam neue Wege finden.“ Das dürfte schwierig werden, dieser Abend hat das gezeigt.