Ambulantisierung - eine Mogelpackung

Chance Ambulantisierung – eine Mogelpackung

Klaus Emmerich, Klinikvorstand i.R.

 

Ca. ein halbes Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie vergaßen die Gesundheitsminister in Bund und Bundesländern bereits ihre Versprechen, deutsche Krankenhäuser, die Helden der Nation, zu stärken. Vorhaltestrukturen der Krankenhäuser mit frei zu haltenden Klinikbetten und Klinikpersonal für Pandemien und andere Katastrophenfälle gab es bisher nicht. *1) Diese Vorhaltestrukturen kosten Geld, aber dieses Geld wollen Gesundheitsminister sowie Gesundheitsökonomen nicht bezahlen. Also wenden sich Gesundheitsökonomen und Gesundheitsministerien neuen Einsparpotentialen zu, der Ambulantisierung klinischer Leistungen. *2)

 

Der Bericht "Chance Ambulantisierung" im Deutschen Ärzteblatt macht dies deutlich.*3)  Er zeigt dabei eklatante Schwächen auf. Er reiht sich damit in Studien der Stiftung Münch, der Oberender AG, der Bertelsmann Stiftung und anderer Institutionen ein, die längst die Ablösung von Allgemeinkrankenhäusern durch ambulante Intersektorale Gesundheitszentren" mit nicht durchgehender ärztlicher Anwesenheit fordern. Zentrale Kritik ist, dass der Patient völlig aus dem Blickfeld verschwindet.

 

Patientenorientierung

 

Patientenorientierung würde bedeuten, folgende Fragen zur Ambulantisierung zu stellen:

 

- Was kann ambulant gemacht werden?

- Welche medizinischen Risiken gibt es?

- Sind die medizinischen Risiken beherrschbar?

- Wie muss die Medizinische Infrastruktur aussehen, die eine komplexe aber stationsersetzende Behandlung zulässt?

- Sind solche Behandlungen zwingend am Krankenhaus durchzuführen, um bei Komplikationen ggf. sofort stationär einweisen zu können?

- Gibt es ausreichende familiäre Strukturen, die die ersatzweise Überwachung komplex ambulanter Patienten sicherstellen können (Gefahr der Nachblutung und andere Komplikationen)?

 

All diese medizinisch wichtigen Fragestellungen werden bei den "Chancen" der Ambulantisierung aber nicht gestellt. Damit beschäftigt sich der Artikel "Chance Ambulantisierung" nicht. Damit beschäftigen sich die Stiftung Münch, die Oberender AG und die Bertelsmann Stiftung nicht. Sie werden einfach ausgeklammert. Der Patient und seine Angehörigen spielen keine Rolle.

 

Ökonomisierung

 

Es geht also - wie immer - um Kostenreduktion. Die angebliche Entlastung des zu schwach besetzten klinischen Personals wird es auch nicht geben. Denn es geht am Ende um die geringere Vergütung der zukünftig ambulanten Behandlungen. Genau das aber gefährdet die bereits heute unzureichenden Vorsorgekapazitäten der Krankenhäuser für Pandemien und Katastrophen.

 

Massenentlassung und Klinikschließungen

 

Die großzügige ambulante Vergütung ist trotzdem niedriger als die stationäre Vergütung. Das macht die ambulante Behandlung - isoliert gerechnet - "attraktiv. Ambulante Behandlungen verzichten aber auf Pflegekräfte bzw. binden ärztliche Kapazitäten geringer. Setzt man dies in der Vergütung um,  dann gibt es ...

 

- weniger stationäre Behandlungen

- weniger bezahlte stationäre Pflegekräfte

- weniger bezahlte stationäre ärztliche Arbeitszeit

- und weniger bezahltes stationäres therapeutisches Personal.

 

Jeder Ökonom weiß, was dies bedeutet. Gesundheitsökonomen verschweigen jedoch die Konsequenzen aus gutem Grund. Was nicht bezahlt wird, droht zu Verlusten, Insolvenzen und in Folge zu Klinikschließungen. Will man dies nicht, wird bei unveränderter stationärer Vergütung genau der nicht bezahlte Personalanteil entlassen. Die Entlastung des klinischen Personals findet nicht statt.

 

Vorsorgekapazitäten gefährdet

 

Corona hat uns gezeigt, wie schwierig es ist, Vorsorgekapazitäten bereitzustellen. Corona-PatientInnen mussten teilweise von Bayern nach NRW verlegt werden, um sie adäquat behandeln zu können. Klinikschließungen und Personalentlassungen - wie oben dargestellt - werden das Problem unzureichender Vorsorgekapazitäten noch verschärfen.

 

Ehrliche Auseinandersetzung

 

Ginge es wirklich bei der aktuellen Diskussion wirklich um die Entlastung des klinischen Personals, dann seien folgende Fragen erlaubt:

 

    • Warum will man gerade ein stationäres Potenzial von 9% ambulantisieren und dadurch Personal angeblich entlasten?

    • Warum kommt nicht der größere Wurf: Die Abschaffung der DRG-Fallpauschalen und damit verbunden die Umstrukturierung von 15% der Arbeitszeit für die unmittelbare Patientenbehandlung, das wäre wesentlich mehr? Es stünden 143 Tsd. klinische Mitarbeiter umgehend der stationären Patientenbehandlung zur Verfügung. *4)

    • Warum präferiert man neue Grenzen zwischen stationär und ambulant, die nicht immer risikolos vollzogen werden können?

 

Es geht ganz offensichtlich wieder nicht um die PatientInnen. Es geht auch wieder nicht um das Klinikpersonal, das entlastet werden soll. Bei allen berechtigten Fragestellungen, was wir im deutschen Gesundheitssystem besser machen können, wird ein Thema nicht angetastet. Die DRG-Fallpauschalen müssen bleiben. Und ambulant kommen Hybrid-DRG hinzu. Warum ist das so?

 

DRG und Hybrid-DRG

 

DRG und Hybrid-DRG lassen sich kalkulieren. Sie lassen eine Entscheidung zwischen gewinn- und verlustträchtigen Behandlungen zu. Sie ermöglichen den Anbietern - stationär und ambulant - ihr Leistungsangebot zu selektieren und nur das anzubieten, was sich rechnet. Insbesondere private Klinikträger und private MVZ-Inhaber sind an diesen DRG massiv interessiert. Und das ist Marktwirtschaft. Sie hat in Deutschland nichts mehr mit Daseinsvorsorge zu tun. Sie dient wenigen Kapitalgebern dazu, Gesundheit als Ware gewinnbringend zu veräußern.

 

 

Ziel der Ambulantisierung

 

Die Ambulantisierung ist ein klassisches Feld für gewinnbringende Leistungsangebote. Bundesweit aktive Privatkonzerne haben MVZ längst als Profitquellen entdeckt. Sie werden sich auch für „Intersektorale Gesundheitszentren“ mit ambulant bezahkten Liegebetten ohne durchgehende ärztliche Anwesenheit interessieren. Sie werden dazu beitragen, dass es in der Fläche weniger Krankenhäuser gibt. 

 

MVZ und „Intersektorale Gesundheitszentren“ ohne klinische Notfallversorgung

sind kein Ersatz für Krankenhäuser.

 

Kommunen sind dagegen stationär und ambulant an ihre Regionalgrenzen gebunden. Wenn nun die Ambulantisierung vorangetrieben wird, fördert es genau den Profiten privater ambulanter Versorgungseinrichtungen. Sie werden kommunale Krankenhäuser ablösen. Sie stellen die flächendeckende klinische Versorgung in Deutschland grundsätzlich in Frage. Sie gefährden die Gesundheit.

 

*1) Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit e. V., GRÜNBUCH 2020

https://zoes-bund.de/wp-content/uploads/2020/12/201130_Gruenbuch_2020_digital-BF.pdf

*2) Bertelsmann-Stiftung, 2020, Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren - Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise 2020, Gütersloh:

www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/zwischenbilanz-nach-der-ersten-welle-der-corona-krise-2020-all, Oberender AG, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Intersektorale Gesundheitszentreen (IGZ), https://www.kbv.de/media/sp/IGZ_Gutachten_2018.pdf, Stiftung Münch, Gesundheitsversorgung im Wandel - WAS FÜR EIN KRANKENHAUS BRAUCHEN WIR VOR ORT?,https://www.bdpk.de/fileadmin/user_upload/BDPK/Service/Studien/2022/Anlage_Muench_KHUmwandlgBuerger.pdf

*3) Ärzteblaatt, Medizinische Versorgung - Chance Ambulantisierung,

https://www.aerzteblatt.de/archiv/227384/Medizinische-Versorgung-Chance-Ambulantisierung

*4) Bündnis Klinikrettung, Bundesgesundheitsminister Lauterbach kommt zur Preisverleihungs-Gala und sagt dem Bündnis Klinikrettung die Beteiligung an der Krankenhausreform zu,

https://www.gemeingut.org/bundesgesundheitsminister-lauterbach-kommt-zur-preisverleihungs-gala-und-sagt-dem-buendnis-klinikrettung-die-beteiligung-an-der-krankenhausreform-zu/,

Bündnis Klinikrettung, Bundesgesundheitsminister Lauterbach kommt zur Preisverleihungs-Gala und sagt dem Bündnis Klinikrettung die Beteiligung an der Krankenhausreform zu, Brief an Lauterbach: Sechs Vorschläge für eine Krankenhausrettungsreform,

https://www.gemeingut.org/brief-an-lauterbach-sechs-vorschlaege-fuer-eine-krankenhausrettungsreform/