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Kommentar Bündnis Klinikrettung

Das Streitgespräch zum Thema Klinikschließungen ist jetzt online

 

von laura8. September 2021

Anfang September konnten wir einen der zentralen Befürworter von Klinikschließungen, Professor Reinhard Busse, live vor laufender Kamera befragen. Der ehemalige Klinikleiter Klaus Emmerich saß für das Bündnis Klinikrettung auf dem Podium und vertrat gegenüber dem Lobbyisten die Position vieler Menschen aus dem ländlichen Raum und der dort in Kliniken Beschäftigten – unserer Meinung nach hat er das hervorragend gemacht.

 

In dem Streitgespräch wurde deutlich, wie immens die Kluft zwischen den Positionen ist. Wir begrüßen und wertschätzen es, dass Professor Busse sich auf den Dialog eingelassen hat. Nichtsdestotrotz ist uns bei manchen Aussagen von ihm ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Kaum verhüllt hat Busse die Leistungen Hunderter kleiner Krankenhäuser in Deutschland schlechtgeredet. Es würde den PatientInnen demnach besser gehen, wenn die dortigen Pflegekräfte und ÄrztInnen mit dem aufhören, was sie seit Jahren machen. Die Krankenhäuser, in denen sie arbeiten, verdienen nach ihm die Bezeichnung Krankenhaus nicht.

 

Busse präsentierte eine menschenfeindliche Allmachtsphantasie: Statt der derzeit rund 1.900 Kliniken würden bei optimaler Platzierung seiner Ansicht nach sogar 330 Krankenhäuser für Deutschland ausreichen, damit alle BürgerInnen theoretisch in 30 Minuten die nächste Notaufnahme erreichen können. Was Busse nicht sagte: Ein solches Szenario bedeutet, dass die Mehrzahl funktionierender Krankenhäuser aufgegeben wird, gleichzeitig in vielen Fällen neuer Beton an neuen zentralisierten Standorten in die Landschaft gekippt wird und hunderttausende Beschäftigte mit ihren Familien umziehen müssen. Und das alles, um in der schönen neuen Krankenhauswelt die jahresdurchschnittliche Auslastung von derzeit 75 Prozent auf nahe hundert Prozent hochzutreiben. Denn Busse schlägt allen Ernstes vor, dass jedes einzelne Krankenhaus zu jeder Jahres- und Tageszeit viel stärker ausgelastet werden muss. Unvorhergesehenes und jahreszeitliche Schwankungen kommen in diesem radikalen Plan nicht mehr vor. Auch Wartezeiten auf Operationen, die jetzt schon eine Belastung für Kranke darstellen, würden sich ausweiten – sind aber kein Thema für Busse. Seine Pläne haben nicht unsere Gesundheit, sondern Gewinnmaximierung zum Ziel – werden sie umgesetzt, kostet das Menschenleben.

 

Das Streitgespräch wurde aufgenommen und ist in der Mediathek von Gemeingut in BürgerInnenhand e.V. zu sehen: https://www.gemeingut.org/infothek/audiovideo/

 

Tragen Sie dazu bei, dass das Thema Klinikschließungen bekannter wird – verbreiten Sie das Video über Ihre Kanäle!

 

Quelle: 

https://www.gemeingut.org/das-streitgespraech-zum-thema-klinikschliessungen-ist-jetzt-online/

Kommentar Klaus Emmerich, 

Diskussionsteilnehmer

Statistiken schaffen keine Zukunft!

Kommentar zum Streitgespräch Klinikrettung versus Klinikschließung

Klaus Emmerich, Klinikvorstand i.R.

Bündnis Klinikrettung, Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern, 15.09.2021

 

Das Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Reinhard Busse am 01.09.2021 in Berlin offenbarte zwei nicht miteinander vereinbare Zukunftsperspektiven für deutsche Krankenhäuser.

 

Einig waren wir uns lediglich in der Auffassung, eine qualitativ hochwertige klinische Versorgung in Deutschland sicherzustellen. Der Gegensatz aber sticht deutlicher hervor:

 

- hochwertige klinische Versorgung durch ein flächendeckendes wohnortnahes klinisches

  Angebot für alle Einwohner Deutschlands mit Mindeststandards oder

- klinische Konzentration mit dem Standpunkt, Herzinfarkte und Schlaganfälle müssten

  an jedem Krankenhaus Deutschlands behandelbar sein.

 

3 Versorgungsstufen nach Klaus Emmerich

(Eingangsrede vom 01.09.2021)

 

Maximalversorgung (ca. 97)

Schwerpunktversorgung (ca. 183)

Grund- und Regelversorgung (ca. 1.634) *1)

 

*1) In den 1.634 Krankenhäusern sind aktuell auch Fachkliniken enthalten, die nach Auffassung des Bündnis Klinikrettung in die Grund- und Regelversorgung zu überführen sind.

3 Versorgungsstufen nach 

Prof. Dr. Reinhard Busse

 

Maximalversorgung (ca. 97)

Basisversorgung (ca. 183)

Integrierte Versorgungszentren (ca. 1.634) *2)

 

*2) Die 1.634 Integrierten Versorgungszentren bieten überwiegend ambulante, teilweise auch stationäre Versorgung mit nur 12-stündiger Anwesenheit des Arztes an. Damit schließen aber 1.634 Krankenhäuser.


Bis heute ist nicht geklärt, wie sich Prof. Dr. Reinhard Busse, Prof. Dr. Boris Augurzky, die Bertelsmann Stiftung, das Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung und die Robert Bosch Stiftung die Umsetzung der Integrierten Versorgungszentren vorstellen.

 

 

Prof. Dr. Reinhard Busse konnte die Frage, mehrfach im Streitgespräch gestellt, nie beantworten. Er verwies wiederholt auf Statistiken, die angeblich die Notwendigkeit einer radikalen Klinikreform belegen. Diese Statistiken sind - weil aus exklusiven Datenbeständen des INEK-Instituts *3) ermittelt - von Dritten nicht überprüfbar.

 

Wer jedoch eine neue Kliniklandschaft mit überwiegend Integrierten Versorgungszentren und nur noch 280 Krankenhäusern der Maximal- und Basisversorgung fordert, der muss auch ihre Machbarkeit belegen. Dazu sind Statistiken nicht in der Lage. Dazu bedarf es einer konkreten Modellbeschreibung und einer anschließenden Machbarkeitsstudie.

 

Und diese Machbarkeitsstudie für

Integrierte Versorgungszentren gibt es offensichtlich nicht!

 

Gäbe es eine Machbarkeitsstudie, hätte Prof. Dr. Reinhard Busse sie im Streitgespräch "Klinikrettung versus Klinikschließung" präsentiert.

 

Aber:

 

Prof. Dr. Reinhard Busse präsentierte die Machbarkeitsstudie

 zu Integrierte Versorgungszentren eben nicht!

 

Er beantwortete deshalb auch keine meiner Fragen im Eingangsreferat und auch später innerhalb der Diskussion, konkret:

 

Wenn Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung verschwinden und durch Integrierte Versorgungszentren ersetzt werden, wer übernimmt dann in ländlichen Regionen:

    • den Notarztstandort

    • die Bereitschaftspraxis

    • die ambulante fachärztliche Behandlungen; wo ambulante fachärztliche Kassensitze

      unbesetzt sind, übernehmen das nämlich die Krankenhäuser

    • die klinischen Arbeitsplätze

    • die praktische ärztliche und pflegerische Ausbildung

    • die wirtschaftliche Nachfrage in ländlichen / strukturschwachen Regionen?

 

Als Antworten brachte Prof. Dr. Reinhard Busse stets Zahlen über den angeblichen Istzustand der Krankenhäuser.

 

Statistische Istzustände mit Exklusivdaten des INEK-Instituts sind aber ...

 

- von Dritten nicht überprüfbar, man muss sie glauben oder nicht,

- sind allenfalls ein Anlass etwas Neues zu fordern,

- aber das neu Geforderte, das Integrierte Versorgungszentrum, ist in diesem

  Streitgespräch an keiner Stelle belegt worden.

 

Dazu braucht es mehr als Statistiken, dazu braucht es Kenntnisse im klinischen Alltag.

 

Wenn es mir gelungen ist, den Zuschauern zu signalisieren ...

 

- Integrierte Versorgungszentren sind nicht mehr als ein Begriff,

- für Integrierte Versorgungszentren gibt es offenbar keine Machbarkeitsstudie,

  die die Umsetzbarkeit belegt,

- uns ist auch Standort in Deutschland bekannt, wo dieses Modell etabliert

  wurde, ...

 

... dann hat das Streitgespräch Klinikrettung versus Klinikschließung sein Ziel erreicht.

 

Gesundheitsminister Jens Spahn, der die Professoren Reinhard Busse und Boris Augurzky zu seinen ständigen Sachgutachtern bestellt, muss der Vorwurf gemacht werden, sich lediglich mit Statistiken auseinanderzusetzen und ebenfalls nicht über ausreichende Kenntnisse im Klinikalltag zu verfügen.

 

Nach der Bundestagswahl 2021 brauchen wir dringend eine Klinikreform.

 

Maßstab der Klinikreform ist eine flächendeckende wohnortnahe klinische Versorgung. Sie muss allen Menschen mit Mindeststandards zur Sicherung einer hohen Behandlungsqualität zur Verfügung stehen. Und um diese umzusetzen, brauchen wir einen neuen Gesundheitsminister, der sich nicht hinter Zahlen versteckt sondern machbare Zukunftsmodelle entwirft.

 

Das Bündnis Klinikrettung hat in seinem Positionspapier Bündnis Klinikrettung zur Bundestagswahl 2021 ein solches Zukunftsmodell präsentiert. Es steht für ein ...

 

 

Modell gesicherter Allgemeinversorgung in drei Versorgungsstufungen.

 

Lesen Sie hierzu unsere Positionen: Positionspapier Bündnis Klinikrettung zur Bundestagswahl 2021

 

*3) Die ungefilterten Daten des Jahres 2020, liegen der breiten Öffentlichkeit nicht vor, wohl aber gefiltert in den Analysen zum Leistungsgeschehen der Krankenhäuser und zur Ausgleichspauschale in der Corona-Krise unter Beteiligung von Prof. Dr. Reinhard Busse und Prof. Dr. Boris Augurzky.