Eingangsstatement Klaus Emmerich

Fotos: Herbert Storn, Bündnis Klinikrettung

 

Streitgespräch Zukunft der Krankenhäuser: 

Klinikrettung versus Klinikschließung

Mittwoch, 01.09.2021

18.15 Zukunft der deutschen Kliniklandschaft - Klaus Emmerich

 

1) Istzustand Deutscher Krankenhäuser

 

Krankenhäuser schützen heilen und retten Menschen! Das ist ihr zentraler Versorgungsauftrag im Rahmen der Daseinsvorsorge. Darauf hat jeder Bürger in jedem Winkel Deutschlands einen Anspruch.

Im Gegenzug haben Krankenhäuser Anspruch auf eine kostendeckende Vergütung ihrer Leistung.

 

Die Wirklichkeit – verehrte Damen und Herren, sieht anders aus! Mit Abschaffung der Selbstkostendeckung und Einführung des DRG-Fallpauschalensystems wurden Krankenhäuser zu Wirtschaftsunternehmen degradiert. Personalabbau, Arbeitsverdichtung, Klinikdefizite und Klinikschließungen sind die Folgen.

    • Gab es 1991 noch 2.411, sind es 2019 nur noch 1.914 Krankenhäuser = -497 = - 21%.

    • Im gleichen Zeitraum sanken die Klinikbetten von 665 Tsd. auf 494 Tsd. = -26%.

 

Wie nötig hätten wir in der Corona-Pandemie die Klinikkapazitäten der 90-er Jahr gebraucht.

    • In Deutschland konnten wir zwar jeden schwer erkranken Corona-Patienten stationär behandeln, anders als in Italien, aber nur mit Verschiebung planbarer klinischer Behandlungen.

    • Und das ist NOTSTAND. Krebs-OPs 3 Monate zu verschieben, ist keine Bagatelle, sie ist Eingriff in das elementare Recht des Bürgers auf Gesundheit! Und das ist NOTSTAND.

    • So attestiert auch das Grünbuch 2020, beauftragt vom Bundesinnen- und Bundesforschungsministerium, den deutschen Krankenhäusern fehlende Vorsorgekapazitäten für Pandemien und Katastrophen.

 

Dass seit Beginn der Corona-Pandemie über 20 Krankenhäuser schließen mussten, ist ein SKANDAL! 

 

Betroffen vom Kliniksterben sind verstärkt kleine Krankenhäuser mit hohem Fixkostenanteil je Patient. In ländlichen Regionen gibt es fast nur kleine Krankenhäuser. Und wenn sie verschwinden, dann brechen zusammen:

    • Notarztstandort

    • Bereitschaftspraxis

    • ambulante fachärztliche Behandlungen, wo ambulante fachärztliche Kassensitze unbesetzt sind, übernehmen das nämlich die Krankenhäuser

    • klinische Arbeitsplätze

    • praktische ärztliche und pflegerische Ausbildung

    • wirtschaftliche Nachfrage in ländlichen / strukturschwachen Regionen.

Eine komplette ländliche Infrastruktur zerbricht – Hersbruck in Bayern hat das eindrucksvoll erlebt! Aber das spielt bei der Diskussion um die Zukunft der Krankenhäuser bedauerlicher Weise keine Rolle! 

 

Regionen ohne wohnortnahe Krankenhäuser werden zu Gesundheitsregionen 2. Klasse.

 

 

Und dann die Qualitätsdiskussion: Richtlinien des G-BA sichern angeblich verbesserte Qualität. N E I N, das tun sie nicht!

    • Sie liefern keine neue Qualität - sie selektieren Krankenhausleistungen und ganze Krankenhäuser, die sie nicht erfüllen und tragen aktiv zum Kliniksterben bei.

    • Sie regeln nämlich N I C H T, wie Krankenhäuser diese Standards trotz beschränkter wirtschaftlicher und ärztlicher Ressourcen erreichen können.

    • Drastische Beispiel: Wer die Standards der Notfallstufe 1 nicht erreicht fällt aus der Versorgung heraus, und plötzlich haben über 800 der 1.914 Krankenhäuser keine Notfallversorgung mehr! Laut  GKV ist für 97% der Bevölkerung die Notfallversorgung innerhalb einer Fahrzeit von 30 Minuten sicher gestellt. Aber, meine Damen und Herren, für 2,4 Mio. Deutsche eben N I C H T, das ist schlechte Qualität.

 

Wie die betroffenen Regionen damit klar kommen, ist nirgendwo geregelt!

 

Dabei sei die Frage erlaubt: Warum ausgerechnet die Qualität der kleinen Krankenhäuser verbessern? Gute und verbesserungsbedürftige Qualität gibt es in jeder Versorgungsstufe. Bei Basis- bzw. Routineerkrankungen sind kleine Krankenhäuser oft sogar besser. Das bestätigen Studien der Weißen Liste, der NZ-Klinikcheck und die FAZ-Studie Deutschlands beste Krankenhäuser.

 

2) Maßstab für eine Krankenhausreform

 

Wir brauchen eine Klinikreform, damit deutsche Krankenhäuser adäquat finanziert werden und Ärzte und Pflegekräfte nicht massenweise die Krankenhäuser verlassen - das ist nämlich unser Kernproblem!

    • Maßstab jeder Klinikreform ist eine flächendeckende wohnortnahe klinische Versorgung.

    • Sie muss jedem Bürger innerhalb von 30 Minuten mit Mindeststandards zur Verfügung stehen, notfalls auch durch Aufrüstung.

 

3) Deshalb sind aktuell diskutierte Klinikreformen auch untauglich!

 

Der G-BA beispielsweise fordert 1.200 statt 1.914 deutsche Krankenhäuser und will nach Rückfrage alle Krankenhäuser ohne Notfallversorgung rigoros streichen – dann haben 2,4 Mio. Bürger auch kein erreichbares Krankenhaus mehr! 

Und das ist schlechte Qualität! 

 

Das Richtungspapier 2020 der Bertelsmann Stiftung, des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung und der Robert-Bosch braucht Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung überhaupt nicht mehr - das sind ganze 1.600 der 1.914 Krankenhäuser. Sie werden – wie die Professoren Reinhard Busse und Boris Augurzky vorschlagen - Integrierte Versorgungszentren mit nur 12-stündiger Anwesenheit eines Arztes ohne bzw. mit reduzierter Notfallversorgung. 

 

Ich möchte in einem Integrierten Versorgungszentrum stationär nicht liegen! Sie liefern schlechtere Qualität, weil mindestens 12 Stunden am Tag eine Pflegekraft über eskalierende Krankheitsverläufe entscheidet – nicht der Arzt! 

 

Das sind auch keine Krankenhäuser mehr!

 

Die diskutierten Modelle basieren auf Statistiken. Sie lassen Machbarkeitsstudien vermissen und weisen eine erschreckende Unkenntnis über den klinischen Alltag aus.

 

4) Die klinische Zukunftsvision

 

Das Bündnis Klinikrettung steht für ein Modell gesicherter Allgemeinversorgung in 3 Versorgungsstufungen, konkret:

    • Jeder Bürger erreicht in 30 Minuten mindestens ein Krankenhaus der Grund-/Regelversorgung analog der Notfallstufe 1, zzgl. Geburtshilfe, wo dies nicht gewährleistet ist, muss der Standort gebaut bzw. nachgebessert (nicht aufgegeben) werden.

    • Es gibt Mindeststandards für alle Versorgungsstufen, das schafft Sicherheit für Patienten und Notärzte, welches Krankenhaus für welche Behandlung vorrangig in Frage kommt.

    • Fachkliniken fehlt es am notwendigen interdisziplinären Leistungsangebot. Sie werden, wo erforderlich, Allgemeinkrankenhäuser oder sind verzichtbar.

    • Krankenhäuser werden selbstkostendeckend finanziert, es gibt keine Gewinne oder Verluste – das Geld bleibt im Gesundheitssystem

    • Der Dokumentationsanteil der Pflegekräfte und Ärzte wird von derzeit ca. 30% auf 15% reduziert, das ...

- halbiert die gebundenen Ressourcen für Dokumentation von aktuell ca. 58 Tsd.

  Ärzten und 137 Tsd. Pflegekräften

- und schafft Raum für mehr Behandlungsqualität.

    • Klinische Daseinsvorsorge gehört in öffentlicher Hand.  Auch brauchen kommunale Krankenhäuser mehr Freiheiten, z.B. Klinikverbünde und MVZ außerhalb ihrer kommunalen Grenzen. Wie in Dänemark, das Herr Busse immer wieder als Beispiel anführt, fordern wir eine komplett öffentliche Gesundheitsversorgung: mit öffentlichen Kliniken, einer öffentlichen Krankenkasse und einer öffentlichen Bürgerversicherung. 

    • Zur Aufwertung klinischer Arbeitsplätze fordern wir für alle Krankenhäuser eine Tarifbindung. 

    • Und wir fordern eine Beteiligung der Bürger in wichtigen Beratungsgremien des Bundesgesundheitsministeriums, wenn es um die Zukunft deutscher Krankenhäuser geht. 

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